ein Beitrag von Eugen Schmitter
Im Internet und in einem Buch habe ich schon einiges über die Strahlerei und die Kluftanzeichen gelesen. Ich war schon ein paar Tage mit Hobbystrahlern unterwegs, aber noch nie habe ich eine richtig schöne Kluft gefunden, nur einige Einzelstücke. Ja, ich bin eigentlich immer noch ein Anfänger!
Heute bin ich mit einer Gruppe von Hobbystrahlern und dem Fachmann André unterwegs. Nach einem Aufstieg von etlichen hundert Höhenmetern gelangen wir auf einer relativ flachen Stelle und machen uns einzeln oder in kleinen Gruppen auf die Suche. An einzelnen Stellen ist ein wenig blanker Fels zu sehen. Der grösste Teil ist mit Erde bedeckt und mit Gras bewachsen. Hangaufwärts hat es noch mehr Geröll. Hier im Bündnerschiefer hat es viele Klüfte, erklärt uns André. Da und dort seien die Kluftanzeichen gut zu sehen. Aber ich merke bald, dass bei den gut sichtbaren Anzeichen jemand anderer schneller war und diese Klüfte schon ausgeräumt sind. André hat in der Zwischenzeit schon eine kleine Kluft entdeckt und mit ausräumen begonnen. Ich schaue mir die Stelle ganz genau an. Auf den ersten Blick kann ich keine Kluftanzeichen erkennen und ich frage mich, was André da wohl gesehen hat. Na ja, das ist eben doch ein Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis. Ich schaue mich in der näheren Umgebung um, betrachte nochmals die ausgeräumten Klüfte. Langsam aber sicher fallen mir doch einige Anzeichen auf, die auf eine verborgene Kluft hinweisen könnten
An einer Stelle, in der Nähe von André hat schon jemand etwa 10 Zentimeter tief sondiert und dann offenbar aufgegeben, obwohl nach meiner Meinung zwei oder drei Kluftanzeichen zu sehen sind.
Ich sondiere weiter, aber ich finde nichts. Von zehn Klüften sind acht bis neun leer, hat uns André kürzlich gesagt. Wenn ich doch nur wüsste, wie die guten ein bis zwei Klüfte zu finden wären! Ich suche weiter und finde noch eine Stelle mit kaum sichtbaren Anzeichen. Zwischen zwei Felsbändern kann ich mit blossen Händen die Grasnarbe lockern.
Mit meinem alten Gletscherpickel grabe ich noch tiefer. Ein Spalt im Felsen ist zu sehen und zwar genau quer zur Schichtung des Schiefers. An den seitlichen Wänden der Spalte sollten nun theoretisch kleine kristalline Strukturen zu sehen sein. Ich sehe aber nichts ausser verwittertem Schiefer und überlege mir, ob ich das gegrabene Loch wieder schliessen soll, als mir in der Erde ein Stück derber Quarz auffällt. Auf der Rückseite sind einige kleine aber klare Kristallspitzen zu sehen. Deshalb grabe ich nun doch noch weiter. Ich entferne alle Erde aus dem Spalt. Ein Quarzband von einem halben Meter Länge und fünf bis zehn Zentimeter Breite kommt zum Vorschein.
Ich stelle fest, dass es eigentlich zwei Bänder sind mit schönen klaren Spitzen, die gegenseitig ineinander verzahnt sind. Auf einer Seite neben dem Quarzband ist der Fels ganz weich. Ich erinnere mich dass im Buch steht in einer Kluft sei der Fels oft ausgelaugt. Damit ich die schönen Spitzen ohne Verletzung herauslösen kann, entferne ich einige Zentimeter des ausgelaugten Gesteines. Die ersten gut handtellergrossen Stücke kann ich so herauslösen ohne die Spitzen zu zerstören. Sogar die gegenüberliegenden Stücke auf der härteren Felsschicht kann ich mit einem kleinen Meissel sorgfältig ablösen. Weiter unten sind kaum mehr klare Spitzen zu sehen. War es das schon? Oder soll ich noch weiter graben? Plötzlich bricht ein Stück vom Quarzband weg und fällt in ein Loch.
Einige kleine Quarzbrocken fallen in die Tiefe. Damit nicht noch mehr von dem Quarzband in die Tiefe fällt und allenfalls darunter liegende schöne Spitzen zerstört werden, greife ich mit der Hand ins Loch und versuche sogfältig, die Quarzbrocken zu entfernen. Plötzlich fällt mir eine kleine Stufe in der Hand. Diese hat sich ohne jeglichen Kraftaufwand vom Quarzband gelöst. Mein Herz hüpft vor Freude. Ich versuche in das Loch zu schauen. Dummerweise habe ich keine Taschenlampe bei mir. Mit dem Fotoapparat mache ich Fotos ins Loch. Dank dem Blitz sind auf dem Display des Fotoapparates die Kristallspitzen gut zu sehen. Mit der ersten Stufe in der Hand gehe ich zu Walter, der in der Nähe am suchen ist. Wir beschliessen, die Kluft gemeinsam zu öffnen.
Zuerst entfernen wir die letzten Reste des derben Quarzbandes. Danach vergrössern wir die Öffnung. Nachdem wir abwechslungsweise einige grössere Stücke des stark ausgelaugten Felsens weggemeisselt haben, können wir grosse Felsbrocken lösen bis zu einem feinen Riss der parallel zur Kluft verläuft. Damit nicht Felsstücke auf die darunterliegenden Quarzgrüppchen fallen, verschliessen wir den offenen Kluftspalt mit Verpackungsmaterial. Von den ausgelaugten Felsstücken können wir kleinere Grüppchen mit feinen, langen Quarzspitzen lösen. Endlich können wir mit der Hand in den tiefen Kluftspalt greifen und die vielen losen Kristallspitzen heraufholen und in der Nähe auf einer Felsplatte deponieren. Zum Glück wird der Kluftriss in der Tiefe flacher, sodass nicht alle Spitzen bis in die tiefsten Tiefen hinuntergefallen sind. Trotzdem sind noch einige Spitzen zu sehen, die wir nicht erreichen können. Da es langsam Abend wird und zu regnen beginnt, teilen wir unsere Funde und machen uns auf den Heimweg.
Trotz Regen wasche ich meine Stücke beim Brunnen vor der Hütte. Ich bin gespannt wir die Spitzen und Grüppchen nach einer Grobreinigung aussehen. Die meisten Spitzen sind heil geblieben und glasklar unter einem feinen Überzug von Lehm und Limonit, den ich aber mit den Fingernägeln entfernen kann.
Am folgenden Tag regnet es dauernd. Wir beginnen zu sinnieren, wie die Kluft weitergehen könnte und die Möglichkeiten scheinen immer grösser, dass da noch viel mehr schöne Bergkristalle zu finden sein würden. War da nicht in der Tiefe der Kluft nochmals ein Quarzband, unter dem noch viele grössere Spitzen zu finden sein könnten? In unseren Träumen werden die Kluft und die Fundstücke immer grösser.
Am übernächsten Tag schleppen wir unser Werkzeug nochmals zu unserer Kluft. Mit grosser Anstrengung entfernen wir nochmals eine weitere Schicht Felsen. Wir kommen nur langsam voran, denn der Felsen ist hier nicht mehr ausgelaugt und daher viel härter. Endlich können wir noch tiefer in die Kluft greifen. Unsere Erwartungen, dass hinter dem vermeintlichen Quarzband, noch viele schöne Quarzspitzen zu finden wären, werden leider nicht erfüllt. Der Kluftspalt wird nach unten immer schmaler, bis wir mit den Fingern nicht mehr tiefer hinuntergreifen konnten. Ja aber einige wenige Spitzen können wir dann doch noch heraufholen. Auch in dem Haufen mit Kluftinhalt finden wir noch einige ganz kleine Spitzen für André. Er möchte diese zu Schmuckstücken verarbeiten. Ganz am Schluss decken wir dann das Loch wieder zu.
Im Nachhinein betrachtet, denke ich dass wir vermutlich die meisten Spitzen des zweiten Tages mit einem Grübler und leichtem Werkzeug hätten heraufholen können. Ich stell auch fest, dass einige wenige Kristalle auf der Rückseite frische Bruchstellen aufweisen. Habe ich, ohne diese zu merken, kurz vor dem Durchbruch in die Kluft ein oder mehrere Einzelspitzen von der Matrix abgebrochen? Aber etliche Bruchstellen waren schon verschmutzt oder sogar mit einer Kalkschicht überzogen. Es ist deshalb anzunehmen, dass der Frost einen Teil der Spitzen und Grüppchen bereits beschädigt hatte. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal eine Kluft noch vorsichtiger zu öffnen. Ob es mir gelingt? Wir werden sehen.
Eugen Schmitter